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Jüdische Lehrer und Schüler des Lessing-Gymnasiums 1897-1838 und die Frankfurt-Loge

Am 14. Mai 2023 hielt Manfred Capellmann, ehemaliger Studienleiter des Lessings-Gymnasiums und jetzige Archivleiter der Schule einen Vortrag in der Loge über "Jüdische Lehrer und Schüler des Lessing-Gymnasiums 1897 – 1938 und die Frankfurt-Loge".

Erst mit dem Unterrichtsgesetz von 1812 war es durch Großherzog Carl Theodor von Dalberg möglich geworden das Frankfurter Gymnasium für alle Konfessionen zu öffnen. Damit erhielten neben den erst seit 1811 gleichberechtigten Juden auch Katholiken und Reformierte Zugang zum Gymnasium. 1896 zählte das Gymnasium 638 Schüler, davon waren 148 jüdischen Glaubens. Seit 1902 wurde regulär jüdischer Religionsunterricht im eigenen Fachraum neben dem evangelischen und katholischen erteilt. Dafür waren die Rabbiner Dr. Caesar Seligmann (1860-1950), Dr. Arnold Lazarus (1877-1932) und Dr. Georg Salzberger (1882 - 1975) verantwortlich, die auch an anderen Schulen lehrten. Alle drei genannten waren zugleich Mitglieder einer der drei Frankfurter B‘nai B’rith Logen.

Im Zentrum des Vortrags stand aber Bruder Prof. Dr. Moritz Werner, der von 1904 bis 1933 am Lessing-Gymnasium Französisch und Englisch, aber auch Deutsch und Latein unterrichtete. Er wurde in Frankfurt geboren, sein Vater Josef Werner war Lehrer an der Wöhlerschule und unterrichtete dort Latein, Griechisch und Deutsch. Moritz Werner besuchte von 1882 bis 1890 das Städtische Gymnasium (später Lessing-Gymnasium) und bestand hier 1890 die Reifeprüfung. Danach studierte er in Berlin Anglistik, Romanistik und Germanistik und legte 1895 die Doktorprüfung mit einer Arbeit über den französischen Schriftsteller Alfred de Mussets ab. Im Sommer 1897 bestand er in Berlin auch die Prüfung für das höhere Lehramt in den Fächern Französisch, Englisch und Deutsch. Anschließend ging er nach England und unterrichtete in der Nähe von London zwei Jahre an einem Privatinstitut.

1900 kehrte er nach Frankfurt zurück, absolvierte hier die Probandenzeit und war seit 1902 zunächst an der Klinger- und an der Musterschule tätig, bevor er 1904 ans Lessing-Gymnasium kam. Am Lessing-Gymnasium unterrichtete er fast 30 Jahre bis 1933 vor allem Französisch und Englisch, aber auch Deutsch und Latein.

Einer seiner ehemaligen Schüler charakterisiert ihn folgendermaßen: „Ihm verdanken alle Schüler viel, die bei ihm französischen Unterricht hatten. Er war einer der bedeutenden Anreger, die sich nicht nur an den vorgeschriebenen Stoff hielten. Von ihm hörten wir zuerst Näheres über Dante. Er war sehr musikalisch und diskutierte oft mit uns über alle möglichen Kunstfragen. Er war einer der wenigen Lehrer, der sich an der geistigen Regsamkeit seiner Schüler freute, hatte erfrischenden Humor, nahm nichts übel und munterte jeden auf, offen seine Ansicht zu äußern. Er gehörte eben der neuen und wirklich besseren Generation an, die den Abstand zwischen Lehrenden und Lernenden nicht mehr betonte. Das war fast unerhört an einer Anstalt, wo wir es gewohnt waren, immer in verba magistri schwören zu müssen.“

Durch seine zahlreichen Auslandsaufenthalte und Studienreisen hatte er seine Kenntnisse im Englischen und Französischen so perfektioniert, dass er bei Besuchen von ausländischen Delegationen von der Stadt und der Handelskammer immer wieder als Dolmetscher herangezogen wurde. Sein besonderes Interesse galt der Geschichte Frankfurts, vor allem den Beziehungen Goethes zu Frankfurt. Schon 1895 war er Mitglied des Freien Deutschen Hochstifts geworden und leitete später über 20 Jahre als Vorsitzender die Sektion für neuere Sprachen.

Anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums fand im Lessing-Gymnasium eine von der Stadt ausgerichtete Feier statt, auf der der Leiter des Freien Deutschen Hochstifts, Professor Ernst Beutler, die Festansprache hielt. 1932 wurde Werner für seine Verdienste um die Stadt Frankfurt mit der Verleihung der Goethe-Plakette geehrt.

1933 erreichte mit der nationalsozialistischen Machtergreifung auch der Antisemitismus das Lessing-Gymnasium. Am 1. April 1933 beging ein jüdischer Schüler, der Primaner Hans Stern, wegen der Schikanen durch seine Mitschüler Selbstmord. Der damalige Direktor, Ernst Majer-Leonhard, versuchte sich der Gleichschaltung zu widersetzen, wurde jedoch – nicht zuletzt aufgrund von Interventionen aus dem Kollegium – in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Das bisherige Wahlfach Hebräisch wurde 1934 abgeschafft. Die jüdischen Schüler wurden nach und nach von der Anstalt gedrängt.

Auch Moritz Werner wurde als Jude 1933 aus dem Schuldienst entlassen. Der Zutritt zum Goethe-Haus wurde ihm untersagt. Er widmete sich jetzt Aufgaben, die sich seinen Glaubensgenossen damals stellten. Er beteiligte sich am Ausbau des Jüdischen Lehrhauses, wo er viele Vorbereitungskurse für Englisch und Französisch hielt. Im November 1938 konnte er endlich zusammen mit seiner Frau in die USA ausreisen, nachdem er auf alle Pensionsansprüche verzichtet hatte. Völlig mittellos erhielt er im März 1939 am Yeshiva-College in New York eine Dozentenstelle. Aber die Anstrengungen der letzten Monate hatten ihn körperlich und seelisch erschöpft. Er starb in einer armseligen Dachkammer eines Nursing-House nach mehreren Schlaganfällen.

Die Schule engagiert sich in verschiedener Weise gegen den Antisemitismus, Manfred Capellmann initiierte die Stolpersteinverlegung für Moritz Werner. Bereits im Jahr 1998 wurde durch die Archiv-AG unter Leitung von Capellmann eine Ausstellung unter dem Titel „Wer war Henry Wolfskehl?“ veranstaltet, in der man nach den Schicksalen der ehemaligen jüdischen Schüler und Lehrer der Schule forschte. 2000 war diese Ausstellung auch im Museum Judengasse zu sehen. Außerdem errichtete die Schule ein Memorial gut sichtbar an zentraler Stelle im Foyer im 1. Stock, hier finden auch Schulveranstaltungen und Ausstellungen statt.

Das Memorial, welches von Mechthild Hastert und Dr. Olaf Lewerenz in einer AG eigens entwickelt wurde, soll zu einem individuellen Diskurs unter dem Titel“ Es hätte dein bester Freund sein können“ auffordern. Dazu wurde ein Klassenfoto des Sextaner-Jahrgangs 1937 aus dem Schularchiv ausgesucht, das sie 1939 bei ihrem Sommer-Ausflug im Odenwälder Felsenmeer zeigt. Damals wurden bereits keine jüdischen Schüler mehr aufgenommen, aber es gab noch „jüdisch-mischblütige“ Schüler. Das Lessing-Gymnasium wies mit 7,5% den höchsten Anteil an Nichtarischen Schülern in Frankfurt auf.

Die Auswahl gerade dieses Fotos für die Veranschaulichung des Themas Verlust erschien umso geeigneter, da es auch Professor Schumann als Klassenlehrer abbildet, einen aufrechten und mutigen Verfechter eines humanistischen Bildungsideals und liberalen Menschenbildes, der sich dafür einsetzte, die Schule während seiner kommissarischen Schulleitertätigkeit 1934/35 und 1940–1945 und als (Klassen-)Lehrer zu einem Hort von Menschlichkeit zu gestalten.- Seinen Schülern galt er wegen seines mutigen Handelns und Helfens als gutes Gewissen der Schule.

Als Manifestation des Verlustes wurden symbolisch fiktive, weiße Schattenrisse in die Foto-Vorlage eingefügt, die den Gedanken der Lücke, des Nicht-Mehr-Zugelassen-Seins jüdischer Mit-Schüler verdeutlicht. Diese Schatten machen mit ihrem drastischen Weiß auf ihre nicht mehr zu füllende Binnenform, auf den Gedanken des Fehlens, aufmerksam.

Externer Link zur Memorial-Website des Lessing-Gymnasiums hier